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StGB NRW-Mitteilung 72/2017 vom 30.11.2016

Forderungen des Marburger Bundes zu ärztlicher Versorgung

Der Marburger Bund hat auf seiner Hauptversammlung umfängliche Forderungen zur Gesundheitsversorgung in der Fläche aufgestellt. Angesichts des demographischen Wandels, der sowohl die Bevölkerung als auch die sie versorgenden Ärzte betrifft (Alterspyramide, Ein-Personen-Haushalte), mahnt der Marburger Bund ein Umdenken und neue Formen der Versorgungsstrukturen an. Notwendig sei eine differenzierte Planung zur Sicherstellung der Versorgung in der Fläche. Dabei muss der Anspruch der Bevölkerung auf eine gleichwertig gute, wohnortnahe Versorgung erfüllt werden.

Aus kommunaler Sicht ist es zu begrüßen, dass nunmehr auch der Marburger Bund sich mit dem Thema befasst. Einige Vorschläge finden auch die Unterstützung des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. Dies gilt zum Beispiel für kommunale Aktionspläne bei der Ansiedlung von Ärzten. Andererseits lässt der Forderungskatalog vieles vermissen, so die bessere Ausschöpfung der Möglichkeiten der Substitution und Delegation sowie der Telemedizin. Auch die Erfüllung des Sicherstellungsauftrages durch die Kassenärztlichen Vereinigungen wird nicht erwähnt. Im Einzelnen fordert der Marburger Bund:  

  • Aus- und Weiterbildungskapazitäten für Ärztinnen und Ärzte wie auch die übrigen akademischen und nicht akademischen Gesundheitsfachberufe müssen diesem steigenden Bedarf angepasst werden. Insbesondere die Anzahl an Studienplätzen im Fach Humanmedizin ist zu erhöhen.
  • Die hausärztliche Versorgung in der Fläche muss durch moderne Weiterbildungskonzepte im Verbund sowie die Möglichkeit des Quereinstieges in die hausärztliche Versorgung gestärkt werden.
  • Die Kommunen sind gefordert, den ländlichen Lebensraum auch für Ärzte attraktiv zu machen (Unterstützung bei der Kinderbetreuung, Bereitstellung von Praxisräumen, Zuschüsse für Umbauten, gesicherter Arbeitsplatz für den Lebenspartner, ggf. MVZ unter kommunaler Trägerschaft).
  • Neben der hausärztlichen muss auch die fachärztliche Versorgung in der Fläche gewährleistet sein.
  • Die ambulante ärztliche Versorgung muss intensiviert werden. Erforderlich ist ein integriertes Versorgungssystem mit offenen Grenzen zwischen stationärer und ambulanter Versorgung. Dieses System muss am einzelnen Patienten orientiert sein und für diesen ein durchgängiges Versorgungskonzept sicherstellen.
  • Eine enge Vernetzung zwischen ambulantem und stationärem Bereich ist unbedingt erforderlich. Belegarztwesen, Praxiskliniken, Teilanstellung im Krankenhaus von Vertragsärzten einerseits, persönliche Ermächtigung von Fachärzten im Krankenhaus andererseits können die spezialisierte Versorgung in der Fläche sicherstellen.
  • Nicht nur zwischen Krankenhaus und niedergelassenen Ärzten, sondern auch mit der stationären und ambulanten Kranken- und Altenpflege sowie Rehabilitationseinrichtungen und Apotheken ist eine Vernetzung notwendig.
  • Krankenhäuser haben für ländliche Regionen eine ganz besondere Bedeutung. Sie müssen als regionaler Gesundheitsstandort zu einem integrierten Gesundheitsversorger weiterentwickelt werden. Sie sind zur Sicherstellung der Gesundheitsversorgung in teilweise strukturschwachen Regionen unbedingt erforderlich.
  • Gerade in der Fläche ohne Spezialisierungsmöglichkeiten müssen die Krankenhäuser von den Bundesländern mit genügend Investitionsmitteln ausgestattet und zur Sicherung der allgemeinen Vorhaltekosten in der Grundversorgung durch Zuschläge gesichert werden. Die ungenügende Refinanzierung durch zu niedrige Landesbasisfallwerte ist zu beenden.
  • Die medizinische Versorgung muss Teil der Regionalplanung sein und erfordert die Kooperation von Städten, Kreisen, Gemeinden und anderen regionalen Planungsverbänden, um die durch demographischen Wandel bedingten regionalen Disparitäten auszugleichen.
  • Um die Versorgung auch in der Fläche sicherzustellen, müssen zur Bedarfsplanung Planungsbereiche flexibilisiert, Krankenhausärztinnen und -ärzte ermächtigt, kleinere Häuser durch Facharztkompetenz aus dem ambulanten Bereich, unter anderem durch Kooperationsverträge zwischen Krankenhausträgern, Krankenhausärzten und Vertragsärzten und Zweigpraxis im Krankenhaus unterstützt werden. Durch Sonderbedarfszulassungen können die regionalen Engpässe überbrückt werden.
  • Versorgungsrelevante Standorte müssen durch Krankenhausfusionen oder Krankenhauskooperationen dauerhaft gesichert werden.
  • Krankenhäuser müssen sich über Leistungsspektren abstimmen, um eine soweit nötig gezielte Spezialisierung zu ermöglichen, sich besser mit anderen Leistungserbringern zu vernetzen und Wirtschaftlichkeitspotenziale durch gemeinsam betriebene Funktions- und Serviceeinheiten zu heben.
  • Durch Aufbau regionaler Gesundheitszentren ist eine integrierte Versorgung mit anderen Leistungserbringern und Leistungssektoren zu verwirklichen. Hierzu müssen Versorgungsprozesse sektorenübergreifend gesteuert und rechtliche Hindernisse abgebaut werden.

Bewertung

In ländlichen, insbesondere strukturschwachen Gebieten wird es zunehmend schwieriger, eine bedarfsgerechte medizinische Versorgung sicherzustellen. Auf der anderen Seite gibt es gleichzeitig eine Überversorgung in Ballungsgebieten und strukturstarken Regionen. Das Nebeneinander von Unter- und Überversorgung führt zu disparaten Versorgungsstrukturen, die durch die demographische Entwicklung und die Altersstruktur der Ärzte noch zunimmt.

Dabei ist ortsnahe medizinische Versorgung ein entscheidender Standortfaktor für die Städte und Gemeinden. Ohne eine ortsnahe Gesundheitsversorgung verlieren Städte und Gemeinden an Attraktivität. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund fordert deshalb seit Jahren Maßnahmen zur besseren Versorgung insbesondere ländlicher Räume.

Vor diesem Hintergrund begrüßt die kommunale Seite alle Vorschläge, in unterversorgten Gebieten Maßnahmen gegen den Ärztemangel zu unternehmen, wobei in erster Linie die Kassenärztlichen Vereinigungen gefordert und verpflichtet sind, die ärztliche Versorgung sicherzustellen. Wo die Überversorgung besonders hoch ist, sollten die Kassenärztlichen Vereinigungen darüber hinaus gezwungen werden, frei werdende Praxen aufzukaufen. Die Forderungen des Marburger Bundes bleiben hinten folgenden Forderungen und Erwartungen zurück beziehungsweise greifen diese nicht auf:

  • Auch zukünftig sollte in jeder eigenständigen Gemeinde eine hausärztliche Versorgung gewährleistet sein. Es ist Aufgabe der Kassenärztlichen Vereinigungen, dies sicherzustellen. Soweit dies nicht erfüllt wird, sollte der Gesetzgeber einen entsprechenden Rechtsanspruch zugunsten der Kommunen einführen. 
  • Gerade in ländlichen Regionen sind Gemeinschaftspraxen, Ärztehäuser oder lokale Gesundheitszentren dahingehend weiterzuentwickeln, dass Hausärzte und Fachärzte, medizinische Fachangestellte oder Arztassistenten und Pflegekräfte gemeinsam Leistungen anbieten. Die Gesundheitszentren könnten mit den Kliniken und Pflegeeinrichtungen gerade für die älter werdende Gesellschaft integrierte Versorgungskonzepte anbieten. 
  • Die Möglichkeiten der Telemedizin müssen weiter ausgebaut werden. Das E-Health Gesetz, als Einstieg in ein neues Zeitalter der Gesundheitsversorgung mit digitalem Fortschritt und Innovationen für eine bessere medizinische Versorgung muss zügig umgesetzt werden. 
  • Der Stellenwert der Allgemeinmedizin muss in der universitären Ausbildung einen höheren Stellenwert bekommen. 
  • Dem Abbau von Studienplätzen in der Humanmedizin muss entgegengewirkt werden. Es sollten darüber hinaus Modelle entwickelt werden, dass außerhalb des Numerus clausus ein Kontingent von Medizinstudentinnen und Medizinstudenten einen Studienplatz erhalten, die für den Arztberuf geeignet sind und sich gleichzeitig bereiterklären, sich als Allgemeinmediziner zumindest für einen begrenzten zeitlichen Rahmen in ländlichen Regionen niederzulassen.  
  • Wenn Ärzte ein zunehmend knappes Gut werden, müssen weiterhin Modelle gefördert werden, wie man die vorhandenen medizinischen Kapazitäten optimaler nutzen kann. Ein Schritt ist die Delegation und Substitution ärztlicher Leistungen weiter zu fördern und die Telemedizin weiter auszubauen. 
  • Notwendig ist es, Mobilität und Erreichbarkeit in die Versorgungsplanung mit einzubeziehen. Auf Länderebene sollten Mobilitätskonzepte entwickelt werden, die den Patienten in den unterversorgten Gebieten die Möglichkeit bieten, die Ärzte aufzusuchen. Beispiele sind Bürgerbusse, Landarzttaxen oder Ruftaxis. 
  • Im Rahmen der Krankenhausfinanzierung müssen die Krankenhäuser gerade im ländlichen Raum finanziell so ausgestattet werden, dass sie ihren Versorgungsauftrag unter Berücksichtigung der demographischen Entwicklung auch zukünftig erfüllen können. Vor dem Hintergrund des zunehmenden Ärztemangels im ambulanten Bereich kommt gerade den ländlichen Krankenhäusern eine besondere Bedeutung in der wohnortnahen Grund- und Regelversorgung zu.

(Quelle: DStGB Aktuell)

Az.: 38.0.2

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