Mitteilungen - Umwelt, Abfall, Abwasser

StGB NRW-Mitteilung 465/2020 vom 09.06.2020

EuGH stärkt Klagemöglichkeiten Privater bei Umweltverstößen

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit Urteil vom 28.05.2020 (Rs. C 535/18) über ein für große Infrastrukturprojekte wichtiges Vorabentscheidungsersuchen des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) entschieden. Mit dem Urteil werden die Klagemöglichkeiten Privater gegen vorhabenbedingte Verschlechterungen, hier: des Grundwassers, gestärkt.

Hintergrund

Das beim BVerwG anhängige Klageverfahren betrifft ein Autobahnprojekt in Nordrhein-Westfalen. Konkret befasste sich der EuGH mit den Anforderungen des Grundwasserschutzes nach der EU-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL). Die Entscheidung hat auch für andere Infrastrukturprojekte und sonstigen Vorhaben, bei denen mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist und die daher der UVP-Richtlinie unterfallen, Bedeutung.

Die Bezirksregierung Detmold hatte vorliegend den Neubau des Autobahnzubringers Ummeln an der A?33/B 61 genehmigt. Dagegen hatten Grundstückseigentümer und Landwirte entlang des geplanten Straßenabschnitts geklagt. Sie fürchteten die Enteignung beziehungsweise um die Existenz ihrer Betriebe. Daneben rügen sie eine Gefährdung ihrer privaten Wasserversorgung über Hausbrunnen, wenn in Zukunft Straßenabwässer versickern oder das Land überschwemmt wird. Das BVerwG wollte nun klären lassen, unter welchen Voraussetzungen Privatpersonen die Rechtmäßigkeit der Planfeststellung für ein großes Straßenbauvorhaben anfechten können, weil die Anforderungen des EU-Umweltrechts nicht eingehalten sind. Daneben bat es um Klärung, nach welchen Kriterien sich die Verschlechterung des Zustandes eines Grundwasserkörpers nach der WRRL bemisst.

EuGH bestätigt Erfordernis der subjektiven Klägerbetroffenheit

Die erste Vorlagefrage des BVerwG zielt auf die Vereinbarkeit einer Regelung im Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz (UmwRG) mit der europäischen UVP-Richtlinie. Nach der nationalen Regelung in § 4 Abs. 3 Satz 2 UmwRG können Individualkläger – anders als Umweltvereinigungen – etwaige Verfahrensfehler nur dann gerichtlich geltend machen, wenn ihnen selbst die Möglichkeit der gesetzlich vorgesehenen Beteiligung am Entscheidungsprozess genommen worden ist.

In dem konkreten Fall fehlten in den Bekanntmachungen zur Öffentlichkeitsbeteiligung Hinweise auf die Antragsunterlagen zu den vorhabenbedingten Auswirkungen durch Straßenentwässerung und Lärm.

Das BVerwG hielt es für unionsrechtskonform, dass das UmwRG bei den Rechtsbehelfsmöglichkeiten von Privatklägern und Umweltvereinigungen differenziert. Dem ist der EuGH nunmehr gefolgt: Eine nationale Vorschrift ist mit Art. 11 UVP-Richtlinie vereinbar, nach der Privatkläger die Nichtigerklärung einer Projektgenehmigung wegen eines Verfahrensfehlers nur verlangen können, wenn sie nachweisen, dass ihnen selbst das nach Art. 6 der UVP-Richtlinie garantierte Recht auf Beteiligung an umweltbezogenen Entscheidungsverfahren genommen wurde. Dies gilt nach dem heutigen Urteil des EuGH allerdings nur für solche Verfahrensfehler, die sich nicht auf den Inhalt der Entscheidung ausgewirkt haben können.

Außerdem hat der EuGH festgestellt, dass die Öffentlichkeit ihre Beteiligungsrechte grundsätzlich nicht wahrnehmen kann, wenn in Auslegungsunterlagen Angaben zu den wasserbezogenen Auswirkungen des Projektes fehlen. Weiterhin bestätigte der EuGH, dass die behördliche Prüfung der wasserrechtlichen Bewirtschaftungsziele, also das Verschlechterungsverbot und das Verbesserungsgebot, nicht erst nach der Projektgenehmigung durchgeführt werden dürfen. Vielmehr verlange Art. 6 der UVP-Richtlinie, dass Fachbeiträge zur Vereinbarkeit des Vorhabens mit der WRRL im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung zwingend auszulegen sind.

Verschlechterung des Grundwassers – eine Messstelle reicht

Der EuGH hat bereits in seinem Weservertiefungsurteil festgestellt, dass eine Verschlechterung bei Oberflächenwasserkörpern vorliegt, sobald sich der Zustand mindestens einer Qualitätskomponente um eine Klasse verschlechtert. Ist die betreffende Qualitätskomponente jedoch bereits in der niedrigsten Klasse eingeordnet, stellt jede weitere Verschlechterung dieser Komponente eine Verschlechterung des Zustands des Oberflächenwasserkörpers dar (sog. Qualitätskomponentenklassentheorie). Gegen die Übertragung dieses Bewertungsmaßstabs auf das Grundwasser bestanden zumindest Zweifel, weil die Anhänge zur WRRL nur zwischen dem guten und dem schlechten mengenmäßigen und chemischen Zustand des Grundwassers differenzieren, wohingegen für die Oberflächenwasserkörper eine fünfstufige Skala der ökologischen Qualitätskomponenten gilt.

Der EuGH hat diese Zweifel mit dem heutigen Urteil ausgeräumt und sogleich wichtige Hinweise zur Bedeutung der einzelnen Überwachungsstellen eines Grundwasserkörpers gegeben. Hiernach ist der zu Oberflächenwasserkörpern anerkannte Bewertungsmaßstab grundsätzlich auf das Grundwasser übertragbar. Die für das Grundwasser in der WRRL festgelegten Qualitätsnormen und Schwellenwerte, insbesondere die Grenzwerte für Schadstoffe, stellen Qualitätskomponenten dar, anhand derer die Verschlechterung des Zustands zu bemessen ist. Die Prüfung ist mithin stoffbezogen. Eine Verschlechterung des chemischen Zustands eines Grundwasserkörpers i. S. der WRRL liegt vor, wenn mindestens eine Qualitätsnorm oder ein Schwellenwert vorhabenbedingt überschritten wird.

Gleiches gilt dann, wenn die Konzentration eines Schadstoffs erhöht wird, dessen Schwellenwert bereits überschritten ist. Dabei betont der EuGH mit Blick auf das zur Überwachung des Zustands eines Grundwasserkörpers erforderliche Netz an Überwachungsstellen, dass eine Verschlechterung des chemischen Zustands eines Grundwasserkörpers schon dann festzustellen ist, wenn eine Qualitätskomponente an nur einer Überwachungsstelle nicht erfüllt wird. In diesen Fällen kann also regelmäßig nicht von einer nur lokalen und daher für das Verschlechterungsverbot irrelevanten Beeinträchtigung ausgegangen werden.

Anmerkung aus kommunaler Sicht

Die vorliegende EuGH-Entscheidung hat weitreichende Auswirkungen auf (kommunale) Infrastrukturprojekte und damit verbundene Klageverfahren. Der EuGH hat festgestellt, dass auch Privatkläger befugt sein müssen, vor nationalen Gerichten die Verletzung wasserrechtlicher Bewirtschaftungsziele geltend zu machen. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass sie durch diese Verletzung unmittelbar betroffen sind. Dies gelte insbesondere für die Inhaber eines Hausbrunnens zur privaten Wasserversorgung, wenn sie zur Grundwasserentnahme und -nutzung berechtigt sind.

Mit dem Urteil hat der EuGH somit einerseits die Klagerechte betroffener Privatpersonen gegen Infrastrukturprojekte und andere UVP-pflichtige Vorhaben gestärkt. Andererseits hat er das Festhalten des Gesetzgebers am Erfordernis der subjektiven Betroffenheit von Privatklägern gemäß § 4 Abs. 3 Satz 2 UmwRG bestätigt. Projektträger und Zulassungsbehörden werden daher verstärkt auf die Einhaltung der Verfahrensgarantien im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung achten müssen. Etwaige Antragsunterlagen zu wasserrechtlichen Bewirtschaftungszielen sind zudem immer zwingend auszulegen.

Insgesamt ist zu befürchten, dass die Genehmigungsfähigkeit großer Infrastrukturprojekte weiter beeinträchtigt werden könnte. Daher sollten die in der WRRL und im nationalen Recht vorgesehenen Ausnahmen von den Bewirtschaftungszielen der WRRL angemessen erweitert werden, um Schutz und Gewässernutzung in einen angemessenen Ausgleich zu bringen.

Mit Blick auf die Umsetzung wichtiger Infrastrukturprojekte in Deutschland sollten im Übrigen dringend Verfahrensvereinfachungen geprüft werden. Insoweit ist der Beschluss des Koalitionsausschusses vom 03.06.2020, unter anderem ein Programm zur Entbürokratisierung, zur Beschleunigung des Planungsrechts sowie zur Vereinfachung des Vergaberechts anzustoßen, ausdrücklich zu begrüßen. Dieser Ansatz muss auch die Wiedereinführung einer EU-konformen materiellen Präklusion beinhalten.

Az.: 23.0.7-004/001 gr

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