Mitteilungen - Umwelt, Abfall, Abwasser

StGB NRW-Mitteilung 447/2020 vom 26.06.2020

EuGH-Richter stärken den Wolfschutz

In seinem Urteil (C-88/19) vom 11. Juni 2020 hat sich der Gerichtshof zum räumlichen Anwendungsbereich des strengen Schutzsystems für bestimmte Tierarten geäußert, das Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 92/43 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (im Folgenden: Habitatrichtlinie) vorsieht. Dabei hat der Gerichtshof bestätigt, dass dieses strenge Schutzsystem für die in Anhang IV Buchst. a der Richtlinie genannten Arten, darunter den Wolf, auch für Exemplare gilt, die ihren natürlichen Lebensraum verlassen und in menschlichen Siedlungsgebieten auftauchen.

Im Jahr 2016 fingen Mitarbeiter einer Tierschutzvereinigung in Begleitung einer Tierärztin einen Wolf, der sich auf dem Grundstück eines Bewohners eines rumänischen Dorfes zwischen zwei großen unter die Habitatrichtlinie fallenden Schutzgebieten aufhielt, ohne vorherige Genehmigung ein und transportierten ihn ab. Der Transport des gefangenen Wolfs in ein Naturreservat lief jedoch nicht wie geplant, und dem Wolf gelang die Flucht in den nahegelegenen Wald. Es wurde Strafanzeige erstattet wegen Delikten im Zusammenhang mit dem Fang und dem Transport eines Wolfs unter unangemessenen Bedingungen. Im Rahmen dieses Strafverfahrens fragt sich das vorlegende Gericht, ob die Schutzbestimmungen der Habitatrichtlinie für den Fang von wildlebenden Wölfen am Rand einer Ortschaft oder im Territorium einer Gebietskörperschaft gelten.

Der Gerichtshof hat zunächst darauf hingewiesen, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Habitatrichtlinie die notwendigen Maßnahmen zu treffen haben, um ein strenges Schutzsystem für die geschützten Tierarten „in deren natürlichen Verbreitungsgebieten“ einzuführen, das alle absichtlichen Formen des Fangs oder der Tötung von „aus der Natur entnommenen“ Exemplaren dieser Arten verbietet.

Zum räumlichen Anwendungsbereich dieses Verbots des absichtlichen Fangs oder der absichtlichen Tötung hat der Gerichtshof ausgeführt, dass der Ausdruck „natürliches Verbreitungsgebiet“ in Bezug auf geschützte Tierarten, die – wie der Wolf – große Lebensräume beanspruchen, mehr umfasst als den geografischen Raum, der die für ihr Leben und ihre Fortpflanzung ausschlaggebenden physischen und biologischen Elemente aufweist, und somit dem geografischen Raum entspricht, in dem sich die betreffende Tierart im Rahmen ihres natürlichen Verhaltens aufhält beziehungsweise ausbreitet. Daraus folgt, dass der durch Art. 12 Abs. 1 der Habitatrichtlinie gewährte Schutz keine Abgrenzungen oder Grenzen kennt, so dass ein wildlebendes Exemplar einer geschützten Tierart, das sich in der Nähe oder innerhalb von menschlichen Siedlungsgebieten befindet, das solche Gebiete durchquert oder sich von Ressourcen ernährt, die der Mensch erzeugt, nicht als ein Tier angesehen werden kann, das sein „natürliches Verbreitungsgebiet“ verlassen hat. Diese Auslegung wird auch durch die Definition in Art. 1 Abs. 1 Buchst. f des Übereinkommens zur Erhaltung der wandernden wildlebenden Tierarten2 gestützt, wonach der Begriff „Verbreitungsgebiet“ einer Art sämtliche Gebiete jedweder Natur, die diese Art durchquert, berücksichtigt.

Daher lassen sich, so der Gerichtshof, nach dem Wortlaut von Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Habitatrichtlinie, der den absichtlichen Fang oder die absichtliche Tötung von „aus der Natur entnommenen“ Exemplaren der geschützten Arten verbietet, die menschlichen Siedlungsgebiete nicht vom Schutzbereich dieser Bestimmung ausnehmen. Die Verwendung des Ausdrucks „aus der Natur“ soll nur klarstellen, dass die Verbote in dieser Bestimmung nicht zwangsläufig für Exemplare gelten, die in einer legalen Form der Gefangenschaft gehalten werden.

Durch die Auslegung, wonach der in Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Habitatrichtlinie vorgesehene Schutz keine engen Abgrenzungen oder Grenzen kennt, lässt sich auch das mit dieser Richtlinie verfolgte Ziel erreichen. Es geht nämlich darum, die betreffenden Arten nicht nur an bestimmten Orten zu schützen, die restriktiv definiert werden, sondern auch ihnen angehörende Exemplare zu schützen, die in der Natur beziehungsweise in freier Wildbahn leben und damit eine Funktion in natürlichen Ökosystemen erfüllen. Insoweit hat der Gerichtshof zudem betont, dass Wölfe in zahlreichen Regionen der Union – wie auch im vorliegenden Fall – in vom Menschen beanspruchten Gebieten leben und die Anthropisierung dieser Räume auch zu einer teilweisen Anpassung der Wölfe an diese neuen Bedingungen geführt hat. Außerdem tragen die Entwicklung der Infrastrukturen, die illegale Waldbewirtschaftung, die landwirtschaftlichen Betriebe und bestimmte industrielle Tätigkeiten dazu bei, auf die Wolfspopulation und ihren Lebensraum Druck auszuüben.

Daher ist der Gerichtshof zu dem Ergebnis gelangt, dass die Verpflichtung, die geschützten Tierarten streng zu schützen, für das gesamte „natürliche Verbreitungsgebiet“ dieser Arten gilt, unabhängig davon, ob sie sich in ihrem gewöhnlichen Lebensraum, in Schutzgebieten oder aber in der Nähe menschlicher Niederlassungen befinden.

Was die Handhabung von Fällen betrifft, die eintreten können, wenn ein Exemplar einer geschützten Tierart mit Menschen oder ihrem Eigentum in Kontakt tritt, insbesondere Konflikte, die sich aus der Beanspruchung der natürlichen Räume durch den Menschen ergeben, hat der Gerichtshof sodann darauf hingewiesen, dass es den Mitgliedstaaten obliegt, einen vollständigen gesetzlichen Rahmen zu schaffen, der gemäß Art. 16 Abs. 1 Buchst. b und c der Habitatrichtlinie Maßnahmen zur Verhütung ernster Schäden insbesondere an Kulturen oder in der Tierhaltung oder Maßnahmen im Interesse der Volksgesundheit und der öffentlichen Sicherheit oder aus anderen zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses, einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art, umfassen kann.

Somit hat der Gerichtshof bestätigt, dass der Fang und der Transport eines Exemplars einer geschützten Tierart wie des Wolfs nur im Rahmen einer von der zuständigen nationalen Behörde auf der Grundlage von Art. 16 Abs. 1 Buchst. b und c der Habitatrichtlinie gewährten Ausnahme, die unter anderem auf Gründe der öffentlichen Sicherheit gestützt ist, erfolgen dürfen.

Anmerkung aus kommunaler Sicht

Die Richter des Europäischen Gerichtshofs haben mit ihrem am 11.06.2020 verlesenen Urteils klargestellt, dass der in der Habitatrichtlinie vorgesehene strenge Schutz bestimmter geschützter Tierarten sich auch auf Exemplare erstreckt, die ihren natürlichen Lebensraum verlassen und in menschlichen Siedlungsgebieten auftauchen. Die Richter haben bejaht, dass sich das „natürliche Verbreitungsgebiet“ auch auf menschliche Siedlungsgebiete erstrecken könne. Ausnahmen seien nur dann zulässig, wenn die öffentliche Sicherheit oder die Volksgesundheit bedroht werde.

Der EuGH stellt zudem klar, dass die Kompetenz zur Regelung von Konfliktfällen bei den Mitgliedsstaaten liege. Diese könnten einen entsprechenden rechtlichen Rahmen schaffen, um unter anderem Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Schäden im Bereich der Tierhaltung abzuwenden.

Die Bundesregierung hatte sich nach mehr als einjährigem Ringen im Mai 2019 über einen leichteren Abschuss von Wölfen in Deutschland geeinigt. Damit reagierte die Bundesregierung auf die berechtigten Sorgen der Weidetierhalter und hat eine größere Rechtssicherheit in der Frage geschaffen, unter welchen Bedingungen die lokalen Naturschutzbehörden Ausnahmen vom Artenschutz machen dürfen.

Az.: 26.0.3-002/001 gr

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