Mitteilungen - Umwelt, Abfall, Abwasser

StGB NRW-Mitteilung 577/1996 vom 05.12.1996

Eigenbetriebe bei der Abwasserbeseitigung in Gefahr?

Wortlaut der Kleinen Anfrage 422 vom 28. Juni 1996 des Abgeordneten Eckhard Uhlenberg, CDU:

In den letzten Jahren ist die Abwasserbeseitigung, eine Pflichtaufgabe der Städte und Gemeinden, von immer mehr Kommunen in Form eines Eigenbetriebes "Abwasserwerk" wahrgenommen worden. Ausschlaggebend für diese Organisationsentscheidung war neben einer größeren Flexibilität des Eigenbetriebes gegenüber dem hoheitlichen Regiebetrieb dessen größere Transparenz insbesondere bei der Festlegung und Überprüfung der Höhe der kommunalen Gebühren. Ein wichtiger Aspekt für die Errichtung eines Eigenbetriebes war darüber hinaus die Freistellung dieser Betriebsform von den Vergabegrundsätzen der Verdingungsordnung für Bauleistungen (VOB, Teile A und B) und der Verdingungsordnung für Leitungen (VOL). Durch die Möglichkeit des Ausschlusses der VOB und der VOL in bestimmten Bereichen wurde den Eigenbetrieben die Möglichkeit eröffnet, sich am Markt wie an privatwirtschaftlich organisierte Betriebe zu beteiligen.

Das Innenministerium hatte mit Erlaß vom 8. April 1976 (Az.: III B 4-5/701-4787/75) ausdrücklich festgestellt, daß die Verpflichtung zur Anwendung der Vergabevorschriften auf die Eigenbetriebe vor allem deshalb auf Bedenken stoße, weil die Betriebe in den wirtschaftlichen Wettbewerb einbezogen seien und im Falle ungleicher Behandlung, verglichen mit den Eigengesellschaften, in Form des Privatrechts ausweichen würden.

Mit Erlaß vom 20. Februar 1996 (Az.: III B 4-5/701-3931 I/96) hat das Innenministerium gegenüber der Bezirksregierung Detmold klargestellt, daß Bedenken bestünden, die Geltung des o.g. Erlasses aus dem Jahre 1976 auf Einrichtungen, die - ohne Eigenbetrieb zu sein - entsprechend den Vorschriften der Eigenbetriebsverordnung geführt werden, auszudehnen. Aus der Sicht des Innenministeriums spreche insbesondere der Charakter dieser Einrichtungen, die dem hoheitlichen Bereich zuzuordnen seien, dagegen. Dies spreche dafür, daß sie die gleiche "Behandlung" erfahren müßten, wie die Kommune selbst.

Mit einem Hinweis auf den Antrag der SPD-Fraktion im Landtag "Anpassung der Gemeindehaushaltsverordnung an geänderte Rahmenbedingungen" (Drucksache 11/7308) wird in dem Erlaß offengelassen, inwieweit hier eine Veränderung im Laufe der Legislaturperiode erfolgen soll. Bei den errichteten Abwasserwerken handelt es sich um eigenbetriebsähnliche Einrichtungen im Sinne des § 107 Abs. 2 GO. Diese Vorschrift definiert, was nicht als wirtschaftliche Betätigung im Sinne der GO gilt. Dazu zählen u.a. Einrichtungen, zu denen die Gemeinde gesetzlich verpflichtet ist, und Einrichtungen, die dem Umweltschutz, insbesondere der Abfallentsorgung oder Abwasserbeseitigung, dienen. § 107 Abs. 2 regelt weiter, daß auch diese Einrichtungen, soweit es mit ihrem öffentlichen Zweck vereinbar ist, nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu verwalten sind und entsprechend den Vorschriften über die Eigenbetriebe geführt werden können.

Konsequenz aus der neuerlichen Rechtsauffassung des Innenministeriums ist, daß für eigenbetriebsähnliche Einrichtungen zukünftig die Privilegierung der Möglichkeit des Ausschlusses der Vergabegrundsätze der VOB/VOL entfällt.

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß im Gesetzgebungsverfahren zur Änderung der Gemeindeordnung seitens des Nordrhein-Westfälischen Städte- und Gemeindebundes bereits darauf aufmerksam gemacht wurde, daß die vorgesehene Unterscheidung zwischen wirtschaftlichen und nichtwirtschaftlichen Unternehmen nur historisch zu erklären und als nicht mehr zeitgemäß anzusehen sei. Dies zeige sich besonders deutlich am Beispiel der Wasserversorgung, die als Wirtschaftsunternehmen angesehen werde, auf der einen Seite, und der Abwasserbeseitigung, die einen Hoheitsbetrieb darstellt, auf der anderen Seite. Unverständlich ist die neuerliche Rechtsauffassung des Innenministeriums auch vor dem Hintergrund, daß in einem Gemeinsamen Runderlaß aus dem Jahre 1989 hinsichtlich der "Erfüllung der Abwasserbeseitigungspflicht durch die Gemeinden und hierfür zulässige Organisationsformen" ausdrücklich das Wahlrecht der Gemeinde hinsichtlich der Organisationsform bekräftigt wird.

Wollen die betroffenen Kommunen den negativen Auswirkungen des neuen Erlasses des Innenministeriums entgehen, so bleibt ihnen nur die Möglichkeit, auf eine privatwirtschaftliche Organisationsform im Bereich der Abwasserbeseitigung zurückzugreifen. Da die "reine" GmbH- bzw. Aktiengesellschafts-Lösung für die Abwasserbeseitigung nicht unproblematisch ist, werden Modelle wie "Betreibermodelle" oder "Kooperationsmodelle" favorisiert werden.

Die Änderung der Rechtsauffassung des Innenministers ist insbesondere auch unter Berücksichtigung der Tatsache unverständlich, daß noch in der Koalitionsvereinbarung vom 1. Juli 1995 unter der Ziffer "Förderung der kommunalen Selbstverwaltung" davon die Rede ist, daß die Landespolitik die erreichte wirtschaftliche Betätigungsfreiheit der Kommunen sichern und im kommunalen Interesse erweitern will. Das soll u.a. durch eine Lockerung der Bindung der Kommunen an die Verdingungsordnung für Bauleistungen geschehen. Gleichzeitig widerspricht der neue Erlaß der Aussage der Landesregierung, daß sie die kommunalen Gebietskörperschaften beim notwendigen Umbau ihrer Verwaltungen zu modernen, betriebswirtschaftlich geführten Dienstleistungseinrichtungen unterstützen will.

Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:

1. Was war der Auslöser für die Korrektur des Erlasses des Innenministers aus dem Jahre 1996?

2. Welche Organisationsform hält die Landesregierung vor dem Hintergrund möglichst großer Transparenz und effektiver Gebührenstrukturen für den Bürger im Bereich der Abwasserbeseitigung für sinnvoll?

3. Wie läßt sich der zitierte Erlaß des Innenministers aus dem Jahre 1996 in Einklang bringen mit den Formulierungen in der Koalitionsvereinbarung, wonach die wirtschaftliche Betätigung der Kommunen ausgeweitet werden soll?

4. Ist sich die Landesregierung darüber im klaren, daß diese neuerliche Rechtsauffassung vor dem Hintergrund der noch ungeklärten Umsatzsteuerpflicht der kommunalen Hoheitsbetriebe ein Signal in die falsche Richtung (Gebührenerhöhung aufgrund zusätzlicher Steuerpflichten) darstellt?

5. Hat die Landesregierung ihre Rechtsauffassung aus dem Jahre 1976, wonach eine Erschwernis der Organisationsform des Eigenbetriebes dazu geführt, daß die Kommunen in Formen des Privatrechts ausweichen müssen, aufgegeben und wenn ja, mit welcher Begründung?

Antwort des Innenministers vom 09. August 1996 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft:

Zu Frage 1:

Der Erlaß vom 20. Februar 1996 gibt weder eine neue Rechtslage noch eine Korrektur des Erlasses aus dem Jahr 1976 wieder:

Die nordrhein-westfälische Gemeindeordnung unterscheidet zwischen wirtschaftlicher und nichtwirtschaftlicher Betätigung (§ 107 GO). Wenn eine Gemeinde sich wirtschaftlich betätigt, wird sie "am Markt" tätig und tritt damit in Konkurrenz zu privaten Unternehmen. Diese Einbeziehung in den wirtschaftlichen Wettbewerb war ausschlaggebend für den Erlaß aus dem Jahr 1976, der in bezug auf das Vergabewesen die Gleichbehandlung kommunaler Eigenbetriebe mit privaten Unternehmen ermöglicht. Allerdings ist schon der Erlaß aus dem Jahr 1976 beschränkt auf die Eigenbetriebe, d.h. nicht anwendbar auf eigenbetriebsähnliche Einrichtungen. Hintergrund für diese Differenzierung ist die Tatsache, daß eigenbetriebsähnliche Einrichtungen Aufgaben wahrnehmen, die im Sinne der Gemeindeordnung nichtwirtschaftlicher Natur sind. Besonders deutlich wird dies im Bereich der Abfallentsorgung und Abwasserbeseitigung. Diese Aufgaben sind den Kommunen durch Gesetz als Pflichtaufgabe übertragen worden. Deshalb sind die entsprechenden Einrichtungen - wie im Erlaß vom 20. Februar 1996 ausgeführt - dem hoheitlichen Bereich zuzuordnen und müssen - auch in bezug auf das Vergabewesen - die gleiche Behandlung erfahren wie die Kommunen selbst.

Zur Frage 2:

Das Recht der kommunalen Selbstverwaltung umfaßt auch - im Rahmen des rechtlich Zulässigen - die kommunale Organisationsfreiheit. Deshalb verzichtet die Landesregierung bewußt darauf, den Kommunen bestimmte Organisationsformen vorzuschreiben. Allerdings kann die Organisationsform der eigenbetriebsähnlichen Einrichtung wegen der organisatorischen Verselbständigung durch erhöhte Transparenz Vorteile bieten. Einfluß auf die Gebührenkalkulation hat dies allerdings nicht.

Zur Frage 3:

Da sich die eigenbetriebsähnlichen Einrichtungen im Bereich der nichtwirtschaftlichen Betätigung der Kommunen bewegen, sieht die Landesregierung keinen Zusammenhang mit den Formulierungen in der Koalitionsvereinbarung hinsichtlich der wirtschaftlichen Betätigung der Kommunen.

Zur Frage 4:

Die Landesregierung sieht keinen Zusammenhang zwischen den Vergabevorschriften für Kommunen bzw. eigenbetriebsähnliche Einrichtungen und der Frage der Steuerpflicht für kommunale Entsorgungsbetriebe. Im übrigen hat sich dieser Frage die Rechtsauffassung des Innenministers - wie in der Antwort zu Frage 1 ausgeführt - nicht geändert.

Zur Frage 5:

Der Erlaß aus dem Jahr 1976 geht nicht davon aus, daß Kommunen, wenn ihre Eigenbetriebe zur Anwendung der Vergabevorschriften verpflichtet wären, in Formen des Privatrechts "ausweichen müssen". Die Gründe für die Wahl einer privaten Rechtsform sind in der Praxis sehr vielschichtig. Dabei ist die Anwendung der Vergabevorschrift allerdings ein Aspekt unter anderen, der von Bedeutung sein kann. Dies gilt aber nicht in gleicher Weise für die eigenbetriebsähnlichen Einrichtungen, die wegen ihres hoheitlichen Charakters einer stärkeren Bindung an die Kommune unterliegen. Deshalb sind bei der sogenannten nichtwirtschaftlichen Betätigung (z.B. Abwasserbeseitigung) in der kommunalen Praxis private Rechtsformen bisher eher die Ausnahme.

Az.: IV/1 24-31 de/sb

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