Mitteilungen - Umwelt, Abfall, Abwasser

StGB NRW-Mitteilung 579/1996 vom 05.12.1996

Bioabfallerfassung: Gesundheitliche Gefährdung

Mit Urteil vom 11.09.1996 (Az.: 8 C 12820/95 OVG) hat das OVG Koblenz für Rheinland-Pfalz entschieden, daß eine Befreiung vom Anschluß- und Benutzungszwang an die Biotonne zu erteilen ist, wenn anderenfalls der Benutzer einer Gesundheitsgefahr ausgesetzt wird. Das OVG Koblenz weist in diesem Urteil zwar darauf hin, daß bislang die Frage ob und in welchem Maße die Biotonne für immungeschwächte Personen zu einer Gesundheitsbeeinträchtigung oder -gefahr führen kann, in der Wissenschaft nicht eindeutig beantwortet wird. Jedenfalls kann nach dem OVG Koblenz eine solche negative Folge nicht eindeutig verneint werden, so daß es der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet, dem Schutz der Gesundheit den Vorrang zu geben vor dem öffentlichen Interesse an der Verwertung von Abfall anstelle seiner Deponierung.

Im einzelnen hat das OVG Koblenz in dem o. g. Urteil u. a. folgendes ausgeführt:

"Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit durch die angegriffene Satzung liegt auch nicht darin, daß diese keine ausdrückliche Befreiungsmöglichkeit für Personen vorsieht, deren Gesundheit durch die Benutzung der Biotonne gefährdet sein kann. Allerdings ist dem Antragsteller zuzugeben, daß das öffentliche Interesse an der Verringerung von zu deponierendem Abfall durch die Verwertung von verwertbaren Stoffen es nicht erlaubt, einzelne Bürger einer Gesundheitsgefahr auszusetzen. Denn das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG schützt ein so hohes Rechtsgut, daß das oben beschriebene öffentliche lnteresse dahinter zurücktreten muß. Staatliche Maßnahmen, die die Gesundheit gefährden können, sind jedenfalls durch das öffentliche Interesse an der Verminderung der zu deponierenden Abfallmenge nicht gerechtfertigt. Dies gilt auch nicht erst dann, wenn eine Gesundheitsbeeinträchtigung nachgewiesen ist. Vielmehr gebietet es der hohe Rang des Rechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, von einer solchen Maßnahme abzusehen, wenn ernstzunehmende Anhaltspunkte für eine Gesundheitsgefährdung vorliegen. Als solche können sicherlich die Veröffentlichungen des Bundesgesundheitsamtes angesehen werden, nach denen bereits ein Öffnen der Biotonne bei abwehrgeschwächten Menschen zu einer Infektion mit Pilzsporen und damit einer gesundheitlichen Gefährdung führen kann (s. Presseerklärung vom 13.11 .1991 - Anlage 4 zur Antragsschrift - und Sonderdruck "Bioabfall aus medizinisch-mykologischer Sicht", herausgegeben vom Bundesgesundheitsamt, Mai 1992 - Anlage A 5 zur Antragsschrift). Auch legen die vorgelegten Unterlagen die Annahme

nahe, daß - anders als bei Entsorgung des Bioabfalls zusammen mit dem Restmüll - gerade das Sammeln von Bioabfall ohne sonstige Beimischung in einem dafür vorgesehenen speziellen Gefäß zu einer vermehrten Pilzbildung führt (s. Schreiben der Universität Leipzig an das ZDF vom 28.07.1995 - Anlage A 9 zur Antragsschrift – und der Fachhochschule Münster vom 24.05.1995 - Anlage A 20 zur Antragsschrift). Der bloße Hinweis des Antragsgegners, die in den genannten Veröffentlichungen geäußerte Auffassung sei nicht unumstritten, zeigt, daß bislang die Frage, ob und in welchem Maße die Biotonne für immun-geschwächte Personen zu einer Gesundheitsbeeinträchtigung oder –gefahr führen kann, in der Wissenschaft nicht eindeutig beantwortet wird. Jedenfalls kann eine solche negative Folge nicht eindeutig verneint werden. Dann aber gebietet es der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dem Schutz der Gesundheit den Vorrang zu geben vor dem öffentlichen Interesse an der Verwertung von Abfall anstelle seiner Deponierung.

Das führt jedoch nicht zur Unwirksamkeit der Satzung: Diese sieht nämlich in ihrem § 8 Abs. 5 die Möglichkeit einer vollständigen oder teilweisen Befreiung vom Anschluß- und Benutzungszwang; zu dem auch die Trennungspflicht gehört, vor. Zwar bezieht sich diese Vorschrift dem Wortlaut nach! wie sich insbesondere aus der Verweisung auf § 4 AbfG ergibt, auf den Fall, daß Abfälle außerhalb zugelassener Anlagen oder Einrichtungen behandelt, gelagert oder abgelagert werden, während es hier darum geht, bestimmte Arten von Abfall, nämlich Biomüll, in einer nicht für diese Art des Abfalls zugelassenen Anlage, der Restmülldeponie, zu lagern. Eine den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das Grundrecht aus Art. 2 Abs.2 Satz 1 GG beachtende verfassungskonforme Auslegung gebietet es jedoch, die in § 8 Abs. 5 AWS vorgesehene Befreiung vom Anschluß- und Benutzungszwang im Einzelfall auch auf die Fälle anzuwenden, in denen die Benutzungsregelungen von dem einzelnen Bürger mit einem zumutbaren Aufwand nicht befolgt werden können, ohne daß er sich einer Gesundheitsgefahr aussetzt. Denn die Entsorgung einer verschwindend geringen Menge von Bioabfall auf der Restmülldeponie kann weder zu Umweltschäden führen noch das Wohl der Allgemeinheit in sonstiger Weise beeinträchtigen. Insbesondere wird dadurch das Abfallkonzept des Antragsgegners, das in Befolgung der gesetzlichen Vorgaben der Verwertung Vorrang vor der Ablagerung gibt, nicht ernsthaft in Frage gestellt. Denn es dürfte sich im gesamten Landkreis nur um wenige Personen handeln, bei denen die Voraussetzungen für eine Befreiung vorliegen, deren Gesundheitszustand nämlich durch den Umgang mit der Biotonne beeinträchtigt werden kann und deren häusliche und berufliche Situation so ist, daß sie sich beim Umgang mit dem Bioabfall nicht eines Dritten bedienen können (vgl. BVerwG. Urteil vom 05.08.1965 - BVerwGE 22,26 zur Verpflichtung zur Gehwegreinigung).

Kann somit die erforderliche Befreiung in den genannten Fällen auch ohne eine ausdrückliche Regelung in der Satzung in einer auf verfassungskonformer Auslegung beruhenden analogen Anwendung des (3 8 Abs. 5 AWS erteilt werden, so ist die Satzung insgesamt mit höherrangigem Recht, insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, vereinbar."

Ergänzend weist die Geschäftsstelle darauf hin, daß ein gleichlautendes verwaltungsgerichtliches Urteil im Land Nordrhein-Westfalen bislang nicht ergangen ist. Im übrigen ist abzuwarten, welche fachliche Stellungnahme aus dem Bundesumweltministerium auf ein entsprechendes Anschreiben der Geschäftsstelle erfolgt.

Az.: IV/2 31-70 Mitt. NWStGB vom 5.12.1996

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