Heft Mai 2017

Adäquate Finanzausstattung im Verfahren der Kreisumlage

1. Art. 28 Abs. 2 GG als auch Art. 91, 93 ThürVerf gewährleisten den Gemeinden eine aufgabenadäquate Finanzausstattung. Diese verfassungsrechtliche Garantie gilt auch im Verhältnis der kreisangehörigen Gemeinde zum Kreis.

2. Das Recht auf kommunale Selbstverwaltung ist jedenfalls dann nicht mehr gewahrt, wenn den Kommunen die Wahrnehmung freiwilliger Selbstverwaltungsaufgaben infolge einer unzureichenden Finanzausstattung unmöglich ist und ein finanzieller Spielraum für diese Aufgaben, bei denen die Kommunen autonom entscheiden können, ob und wie sie wahrgenommen werden, nicht mehr besteht. Dieser geschützte Kernbereich zieht Regelungen des kommunalen Finanzausgleichs wie der Kreisumlage eine absolute Grenze. Er ist dann verletzt, wenn die Gemeinde strukturell und auf Dauer außerstande ist, ihr Recht auf eine eigenverantwortliche Erfüllung auch freiwilliger Selbstverwaltungsaufgaben wahrzunehmen.

3. Der Kreis hat den Finanzbedarf der umlageverpflichteten Gemeinden in seine dem Erlass der Haushaltssatzung und der Festsetzung der Umlagen vorausgehenden Erwägungen aufzunehmen.

4. Die Umlageforderung ist im Einzelfall so zu bemessen, dass sie die Mindestgrenze der gemeindlichen Finanzausstattung nach den verfassungsrechtlichen Maßgaben berücksichtigt. (Amtliche Leitsätze)

Thüringer OVG, Urteil vom 07.10.2016
- 3 KO 94/12 -

Die Klägerin, eine kreisangehörige Stadt im Bereich des beklagten Landkreises, war gegen den Kreis- und Schulumlagebescheid für das Jahr 2007 vorgegangen und hatte zur Begründung ausgeführt, dass der angefochtene Bescheid das Gebot finanzieller Mindestausstattung der Gemeinde verletze. Nach Stattgabe der Klage durch das erstinstanzlich zuständige VG war der beklagte Kreis in Berufung gegangen.

Das OVG gab der Klage jedoch gleichfalls statt. Das Verwaltungsgericht habe den Kreisumlagebescheid des Beklagten gegenüber der Klägerin für das Jahr 2007 zu Recht aufgehoben. Der streitige Kreis- und Schulumlagebescheid finde seine Rechtsgrundlage zwar im Thüringer Finanzausgleichsgesetz. Die Satzung des Kreises sei aber mit Art. 28 Abs. 2 GG und der Thüringer Verfassung (ThürVerf) materiell unvereinbar. Art. 28 Abs. 2 GG wie auch Art. 91 und 93 ThürVerf gewährleisteten den Gemeinden eine aufgabenadäquate Finanzausstattung, für deren Begründung das Gericht auf die Rechtsprechung des BVerfG und des BVerwG verweist.

Diese verfassungsrechtliche Garantie gelte auch im Verhältnis der kreisangehörigen Gemeinde zum Kreis. Daraus folge wiederum, dass der Kreis die Finanzsituation der Gemeinden zu ermitteln habe und ihnen vor dem Erlass der die Festlegung der Kreis- bzw. Schulumlage enthaltenden Haushaltssatzung des Kreises ein Beteiligungsrecht einzuräumen sei. Diese zwingende Verfahrensvoraussetzung sei hier nicht erfüllt. Die Rechtmäßigkeit der Umlageforderung setze voraus, dass die Umlageerhebung auch im Einzelfall die absolute Grenze der finanziellen, die Wahrnehmung des Kernbereichs der gemeindlichen Selbstverwaltung sicherstellenden Mindestausstattung nicht überschreite.

Die Gemeinden müssten jedenfalls mindestens über so große Finanzmittel verfügen, dass sie ihre pflichtigen Fremd- wie Selbstverwaltungsaufgaben ohne (nicht nur vorübergehende) Kreditaufnahme erfüllen könnten und darüber hinaus noch über eine „freie Spitze“ verfügten, um zusätzlich freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben in einem bescheidenen, aber doch merklichen Umfang wahrzunehmen (vgl. BVerwG, Urt. v. 31.01.2013, Az. 8 C 1.12).

Die der Erhebung der Umlageforderung gezogene, durch den Kreis zu beachtende Grenze könne gerade auch nicht unter Berufung auf die eigene Finanznot durch den Kreis durchbrochen werden. So wenig wie das Land, könne sich der Kreis von der Beachtung des Kernbereichs der gemeindlichen Selbstverwaltung unter Hinweis auf seine eigene Haushaltslage dispensieren. Sofern die eigene Finanzausstattung des Kreises unzureichend sei, so müsse dieser sich seinerseits „an das Land halten“ und könne seine Finanznot nicht auf die kreisangehörigen Gemeinden abwälzen (vgl. BVerwG, a. a. O.).

Mobile Flüchtlingsunterkünfte und Nachbarschutz

Das Tatbestandsmerkmal der Mobilität in § 246 Abs. 12 Satz 1 Nr. 1 BauGB vermittelt keinen Nachbarschutz.

Eine zumindest denkbare drittschützende Wirkung der in § 246 Abs. 12 BauGB vorgegebenen zeitlichen Befristung der Baugenehmigung auf max. drei Jahre geht jedenfalls nicht über einen Gebietsgewährleistungsanspruch hinaus.

Einer Gemeinde ist es nicht verwehrt, parallel zu einer Genehmigungserteilung nach § 246 Abs. 12 Satz 1 Nr. 1 BauGB ein Bauleitplanverfahren zu betreiben, das zur späteren Aufhebung der zeitlichen Befristung der Baugenehmigung führen kann oder soll. (Amtliche Leitsätze)

OVG NRW, Beschluss vom 20.12.2016
- 2 B 1067/16 -

Der Antragsteller wandte sich gegen eine Baugenehmigung, mit der eine Kommune die Errichtung so genannter Schwedenhäuser zur Unterbringung von Flüchtlingen in einem eingeschränkten Gewerbegebiet nach § 246 Abs. 12 BauGB für die Dauer von drei Jahren genehmigt hatte. Gleichzeitig betrieb die Kommune ein Planänderungsverfahren zur Ausweisung eines allgemeinen Wohngebietes anstelle des bisher festgesetzten Gewerbegebietes.

Die entsprechende Planänderung trat rund fünf Monate nach Erlass der Baugenehmigung in Kraft. Der Antragsteller wandte gegen die Baugenehmigung im Wesentlichen ein, die genehmigten Häuser seien entgegen § 246 Abs. 12 Nr. 1 BauGB nicht mobil, sondern wie normale Fertighäuser zu sehen, die auf einem eigenen Fundament ruhten und fest mit dem Boden verankert seien. Die Befristung der Genehmigung sei nur zum Schein erfolgt, wie das parallele Planänderungsverfahren zeige. Der Eilantrag, mit dem die Ausführung der Genehmigung gestoppt werden sollte, blieb in beiden Instanzen ohne Erfolg.

Bereits die Vorinstanz war dem Begehren des Antragstellers im Wesentlichen mit der Begründung entgegengetreten, dass die Baugenehmigung keine ihn als Eigentümer eines in der Nähe zum Vorhaben liegenden Grundstücks schützende Vorschriften des Baurechts verletze, er sich also nicht auf eine sog. nachbarschützende Wirkung der Rechtsvorschriften berufen könne.

Dem pflichtete auch das OVG bei, das die erneuten Einwände allein schon deshalb abwies, weil diese aufgrund der zwischenzeitlich in Kraft getretenen Änderung des Bebauungsplans überholt seien. Mit dieser Änderung seien die vormals als (eingeschränktes) Gewerbegebiet festgesetzten Bereiche nunmehr als allgemeines Wohngebiet anzusehen, in dem die hier in Rede stehenden Flüchtlingsunterkünfte jedenfalls als Anlagen für soziale Zwecke allgemein zulässig seien. Denn nach gefestigter Rechtsprechung seien Rechtsänderungen zugunsten des Bauherrn auch im gerichtlichen Verfahren zu berücksichtigen.

In der Folge gelte: Einen baugebietsübergreifenden Gebietsgewährleistungsanspruch gebe es regelmäßig nicht, und ein etwaiger Nachbaranspruch auf Einhaltung der zeitlichen Befristung wäre allenfalls für Grundstücke anzuerkennen, die im selben Plangebiet liegen, und ginge damit jedenfalls nicht über einen Gebietsgewährleistungsanspruch hinaus. Schließlich sei im Hinblick auf die Einhaltung der Voraussetzung des § 246 Abs. 12 BauGB und die Frage, ob diese nur zum Schein erfolgte, unerheblich, wie sich die kommunalen politischen Gremien hierzu verhielten bzw. ob ihnen die rechtlichen Zusammenhänge bekannt waren.

Die Erteilung einer Baugenehmigung und die Bauüberwachung oblägen nämlich nicht den politischen Gremien, sondern der Verwaltung im übertragenen Wirkungskreis. Außerdem sei es einer Gemeinde nicht verwehrt, auch nach Erteilung einer Baugenehmigung planerisch tätig zu werden und dadurch neue bzw. weitergehende Genehmigungsmöglichkeiten zu schaffen. Auch insoweit hätten Nachbarn keinen Anspruch darauf, dass planerische Festsetzungen für die Zukunft unverändert blieben.

Haltereigenschaft und Gewerblichkeit von Tierschutzvereinen

Ein Tierschutzverein, der ihm überlassene Tiere in privaten Pflegestellen unterbringt und verwahrt, kann als (Mit-)Halter der Tiere im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 Buchst. a TierSchG anzusehen sein.

Die steuerliche Gemeinnützigkeit eines Tierschutzvereins schließt die Annahme einer gewerbsmäßigen Haltung von Tieren im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 Buchst. a TierSchG nicht von vornherein aus. (Amtliche Leitsätze)

OVG NRW, Beschluss vom 17.02.2017
- 20 A 1897/15 -

Streitgegenständlich war in beiden Instanzen eine Untersagungsanordnung des gewerbsmäßigen Haltens von Wirbeltieren nach § 11 Abs. 5 Satz 6 TierSchG und die dagegen gerichtete Klage eines Tierschutzvereins.

Nach der Rechtsprechung des OVG ist für die Eigenschaft als Halter eines Tieres das Bestehen eines tatsächlichen Obhutsverhältnisses entscheidend, das durch die Bestimmungsmacht über das Tier, ein eigenes Interesse an dem Tier und eine gewisse zeitliche Verfestigung der tatsächlichen Beziehung gekennzeichnet sei, wobei zur Ermittlung der Bestimmungsmacht bei mehreren potenziellen Haltern die jeweiligen Einflussmöglichkeiten und Einflussnahmen zu berücksichtigen seien.

Vorliegend schließe die Einlassung des Vereins, er sei allenfalls „mittelbarer“ Mithalter, während die privaten Pflegestellen „unmittelbare“ Halter seien, begrifflich bereits ein, dass auch er Halter sei, und stelle die Maßgeblichkeit vor allem des Kriteriums der Bestimmungsmacht nicht infrage. Dieser Auslegung des OVG NRW sei in der Vergangenheit auch das BVerwG in einschlägigen Entscheidungen nicht entgegengetreten.

Im vorliegenden Fall könne die Bestimmungsmacht des Vereins über die Tiere hauptsächlich aus den vertraglichen Vereinbarungen hergeleitet werden, die er in Gestalt von Gefahr- und Fundtierverträgen mit mehreren Gemeinden abgeschlossen habe. Der Gesichtspunkt, der Kläger habe aufgrund der Verträge die maßgeblichen Entscheidungen hinsichtlich der Betreuung und Existenz der Tiere zu treffen, was er auch tue, schließe ein, dass die entsprechende Verantwortung nicht von einem anderen anstelle des Klägers, also auch nicht von den Pflegestellen, wahrgenommen werde.

Darüber hinaus sei die Gewerbsmäßigkeit des Haltens der Tiere - trotz der Einwände der Klägerseite - hier im Ergebnis nicht ernstlich zweifelhaft. Insbesondere treffe das sinngemäße Vorbringen des Klägers, seine Gemeinnützigkeit stehe der Gewinnerzielungsabsicht bereits im Ausgangspunkt entgegen, in dieser Allgemeinheit nicht zu. Die steuerrechtliche Gemeinnützigkeit einer Organisation schließe eine gewerbsmäßige Betätigung im Sinne des Gewerberechts nicht von vornherein aus. Steuerrechtlich sei es gemeinnützigen Körperschaften unbenommen, neben ihren steuerbegünstigten Zwecken auch wirtschaftliche Zwecke zu verfolgen. Die für die Gemeinnützigkeit vorgeschriebene Selbstlosigkeit und Ausschließlichkeit ließen Raum für einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb, mit dem Mittel zur Erfüllung der satzungsmäßigen gemeinnützigen Zwecke beschafft werden sollten.

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