Heft Juni 2009

Entsorgungspflicht eines so genannten Abfall-Messies

Die Gemeinwohlklausel des § 10 Abs. 4 Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz ist Gefahrenabwehrrecht. Auch ein krankhafter Sammelzwang berechtigt nicht zu Verhaltensweisen, die mit Gesundheitsgefahren oder mit erheblichen Belästigungen für die Mitmenschen verbunden sind (nichtamtliche Leitsätze).

OVG Lüneburg, Beschluss vom 7. April 2009
- Az.: 7 LA 13/09 -

Das OVG Lüneburg hat ein Urteil des Verwaltungsgerichtes in Göttingen vom 30.10.2008 (Az. 4 A 4/05) bestätigt, wonach ein Grundstückseigentümer, der unter dem Abfall-Messie-Syndrom leidet, verpflichtet ist, seine Abfälle einer ordnungsgemäßen Entsorgung zuzuführen. Dem Kläger war unter Androhung der Ersatzvornahme aufgegeben worden, den in seinem Wohnhaus aufgehäuften Abfall (ca. 50 Kubikmeter) bestehend aus unter anderem verdorbenen Lebensmitteln, Sperrmüll, Hausrat, Verpackungsmaterial, Alttextilien und Tageszeitungen zu entsorgen. Das OVG Lüneburg sah diese Aufforderung zur ordnungsgemäßen Abfallentsorgung auf der Grundlage des § 21 Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz als rechtmäßig an.

Nach dem OVG Lüneburg ist der Kläger verpflichtet, die Abfälle ordnungsgemäß zu entsorgen (§§ 11 Abs. 1, 10 Abs. 1, Abs. 4 Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz). Die Gemeinwohlklausel des § 10 Abs. 4 Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz unter Einschluss insbesondere des Gesundheitsschutzes sei Gefahrenabwehrrecht. Insoweit sei der Kläger trotz seines krankhaften Sammelzwangs, an dem er leide, nicht zu Verhaltensweisen berechtigt, die - etwa durch das Anlocken von Ratten - mit Gesundheitsgefahren oder mit erheblichen Belästigungen - Fäkaliengeruch - für die Mitmenschen verbunden sei. Er müsse die bei ihm angefallenen Abfälle im Interesse des Seuchenschutzes und der Aufrechterhaltung der Hygiene einer ordnungsgemäßen Entsorgung zuführen.

Abwägungsfehler bei Ausweisung eines Naturdenkmals

Gibt es entsprechende Hinweise, wonach die Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs bei der Ausweisung eines Naturdenkmals zu berücksichtigen sei, muss die Behörde diesen Hinweisen bei der gebotenen Abwägung vor der Ausweisung eines Naturdenkmals nachgehen, auch wenn Hinweise von privater Seite vorgetragen worden sind (nichtamtlicher Leitsatz).

VG Arnsberg, Urteile vom 25. Februar 2009
- Az.: 1 K 1052/07 und 1 K 1057/07 -

Die Naturdenkmalverordnung des Kreises Siegen-Wittgenstein aus dem Jahre 2001 ist unwirksam, soweit mit ihr eine Eiche im Ortsteil Wilden der Gemeinde Wilnsdorf als Naturdenkmal unter Schutz gestellt worden ist. Der nach einem Gutachten schätzungsweise etwa 150 Jahre alte Baum, der teilweise auf einem privaten Hausgrundstück und teilweise auf dem vor dem Grundstück verlaufenden Gehweg einer kommunalen Straße steht, soll nach dem Willen der Grundstückseigentümer und der Gemeinde Wilnsdorf beseitigt werden, weil er nach deren Auffassung unzumutbare Beeinträchtigungen verursacht und eine Gefährdung der Verkehrssicherheit darstellt. Die Naturdenkmalverordnung des Kreises kann die Fällung nicht verhindern. Das Gericht gab den Feststellungsklagen der Grundstückseigentümer und der Gemeinde gegen den Kreis statt.

Die Unterschutzstellung der Eiche erwies sich als unwirksam, weil dem Kreis bei Erlass der Verordnung ein folgenschwerer Fehler unterlaufen war: Die Eigentümer des betroffenen Hausgrundstücks hatten im Verordnungsverfahren angeregt, den Baum, der erstmals im Jahre 1968 als Naturdenkmal ausgewiesen worden war, aus dem Naturschutz zu entlassen. Sie machten geltend, dass der Bürgersteig im Bereich des Baumes nicht mehr begehbar sei und dadurch eine Gefahr für Fußgänger vorliege. Aufgrund eines „Büroversehens“ ging die Kreisverwaltung davon aus, dass sich die Anlieger für die weitere Unterschutzstellung der Eiche ausgesprochen hätten, und ließ die Frage der Verkehrssicherheit ungeprüft.

Dieses Vorgehen führte zu einem rechtlich erheblichen Abwägungsmangel. Das Gericht stellte darauf ab, dass die Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs bei der Ausweisung eines Naturdenkmals als abwägungserheblicher öffentlicher Belang zu berücksichtigen sei, wenn ein Konflikt zwischen diesem Belang und den mit der Ausweisung verfolgten Zielen des Naturschutzes in Betracht komme. Die verfahrensführende Behörde müsse nicht „ins Blaue hinein“ ermitteln, ob bei irgendeinem der vorgesehenen Schutzobjekte eine solche Konfliktlage vorliege. Gebe es jedoch entsprechende Hinweise, müsse die Behörde diesen bei der gebotenen Abwägung nachgehen, auch wenn sie von privater Seite vorgetragen worden seien. Das habe der Kreis unterlassen. Nach der Rechtslage komme es nicht darauf an, ob die konkrete Möglichkeit bestehe, dass das Ergebnis der Abwägung ohne den Fehler anders ausgefallen wäre.

Stückzahlmaßstab bei der Vergnügungssteuer

Der Stückzahlmaßstab des Hamburgischen Spielgerätesteuergesetzes ist mit dem Gleichheitssatz des Grundgesetzes nicht vereinbar (nichtamtlicher Leitsatz).

BVerfG, Beschluss vom 4. Februar 2009
- Az.: 1 BvL 8/05 -

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die verfassungsrechtliche Zulässigkeit des Stückzahlmaßstabs für die Besteuerung von Geldgewinnspielautomaten nach § 4 Abs. 1 des bis zum 1. Oktober 2005 geltenden Hamburgischen Spielgerätesteuergesetzes (SpStG).

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist insoweit nicht überraschend, als bereits das Bundesverwaltungsgericht in mehreren grundlegenden Entscheidungen aus dem Jahr 2005 die grundsätzliche Ungeeignetheit des Stückzahlmaßstabs als Besteuerungsgrundlage festgestellt hatte. Ebenso wie das Bundesverwaltungsgericht verweist nunmehr auch das BVerfG darauf, dass die früher auch vom Verfassungsgericht selber akzeptierten Gründe für die Verwendung des Stückzahlmaßstabs mittlerweile nicht mehr gegeben seien, da seit 1997 nur noch Geldspielgewinngeräte mit manipulationssicherem Zählwerk aufgestellt werden dürfen.

Gleichwohl lassen sich der jüngsten Entscheidung einige neue Hinweise entnehmen, die auch über den konkret entschiedenen Fall des Hamburger Gesetzes hinaus für die kommunale Satzungspraxis von Interesse sind. Zum einen lässt das BVerfG deutlich erkennen, dass es ganz generell den Stückzahlmaßstab nicht mehr als zuverlässigen Besteuerungsmaßstab betrachtet. Wörtlich führt das Gericht hierzu aus:

„Die tatsächlichen Annahmen, auf deren Grundlage die Zulässigkeit des Stückzahlmaßstabs bisher bejaht wurde, müssen damit als zwischenzeitlich überholt angesehen werden. Selbst wenn in Einzelfällen in bestimmten Gemeinden ein lockerer Bezug zwischen Einspielergebnissen und Stückzahlmaßstab festzustellen sein sollte, stellt die Stückzahl keinen verlässlichen und dauerhaften Maßstab mehr dar, der Grundlage einer mit Art. 3 Abs. 1 GG zu vereinbarenden Steuererhebung sein könnte. Er erweist sich unter heutigen Bedingungen als insgesamt ungeeignet, da er jedenfalls nicht typischerweise den Vergnügungsaufwand der Spieler abbildet. In der Anknüpfung an vereinzelte Sachverhaltskonstellationen, in denen ein hinreichender Wirklichkeitsbezug des Stückzahlmaßstabs für einen bestimmten Zeitraum noch bejaht werden kann, läge indessen eine Orientierung am atypischen Fall, der für den Normgeber von Verfassungs wegen kein Leitbild sein darf.

Es kommt hinzu, dass die für die Tauglichkeit des Stückzahlmaßstabs maßgebliche Schwankungsbreite je nach Entwicklung der tatsächlichen Gegebenheiten im Geltungsbereich der Steuernorm auch nach deren Inkrafttreten gravierenden Veränderungen unterliegt und die Ermittlung der Schwankungsbreite im Streitfall nicht unerhebliche Schwierigkeiten aufwerfen kann.

So muss die steuererhebende Körperschaft, die die Spielgerätesteuer nach der Stückzahl bemisst, regelmäßig befürchten, dass nach Erlass der Steuernorm Umstände eintreten, die dem ursprünglich womöglich noch hinreichenden Bezug dieses Maßstabs zum Vergnügungsaufwand der Spieler die Grundlage entziehen. Ein solcher Umstand kann je nach Gemeindegröße bereits in der Eröffnung einer neuen Spielhalle mit vom bisherigen Bestand stark abweichender Spielgerätenutzung liegen, da die maßgebliche Schwankungsbreite nach der fachgerichtlichen Rechtsprechung grundsätzlich von den konkreten Gegebenheiten im Anwendungsbereich der jeweiligen Steuernorm abhängt (vgl. BVerwGE 123, 218 <227>).“

Angesichts der deutlichen Hinweise, die der Senat hier in Bezug auf die Anfälligkeit des Stückzahlmaßstabs durch Veränderung der tatsächlichen Umstände und damit für die andauernde Überprüfungsbedürftigkeit dieses Maßstabs gibt, empfiehlt der StGB NRW allen Städten und Gemeinden, die diesen Schritt in der Vergangenheit noch nicht vollzogen haben, aus Gründen der Rechtssicherheit bei nächster Gelegenheit ebenfalls auf einen wirklichkeitsnäheren Besteuerungsmaßstab umzustellen. Ein entsprechendes Satzungsmuster steht im Intranet-Angebot des Verbandes zur Verfügung.

Eine weitere wesentliche Aussage aus dem Beschluss ist aus kommunaler Sicht sehr erfreulich: Das BVerfG weist noch einmal explizit auf den weiten Gestaltungsspielraum des Gesetz- bzw. Satzungsgebers bei der Wahl des Steuermaßstabs hin:

„Das Bundesverwaltungsgericht hat seinen Urteilen vom 13. April 2005 (BVerwGE 123, 218 und NVwZ 2005, S. 1322) ebenso wie das vorlegende Finanzgericht die Einspielergebnisse von Geldspielgeräten, damit also im Wesentlichen die Spieleinsätze abzüglich der ausgeschütteten Gewinne, zugrunde gelegt und hierzu die Auffassung vertreten, dass darin der Vergnügungsaufwand der Spieler jedenfalls proportional abgebildet werde. Demgegenüber wird vielfach der Spieleinsatz, das heißt der von den Nutzern getätigte Geldeinwurf ohne Rücksicht auf den späteren Spielverlauf, als die ihren Vergnügungsaufwand zutreffend abbildende Kenngröße angesehen. Zu beiden Sichtweisen wird zudem die Frage diskutiert, ob die Vergnügungsteuer selbst durch vorherigen Abzug von der jeweiligen Bemessungsgrundlage zu berücksichtigen ist.

Es ist in erster Linie die Aufgabe des Gesetzgebers und auf kommunaler Ebene des Satzungsgebers, den Bemessungsmaßstab für eine Spielgerätesteuer zu bestimmen, wobei ihm unter den verfassungsrechtlich zulässigen Maßstäben ein weiter Gestaltungsspielraum zukommt. Er ist grundsätzlich frei in der Entscheidung, ob er als Steuermaßstab den dem Vergnügungsaufwand des Spielers besonders nahen Spieleinsatz oder etwa aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität die Einspielergebnisse der Spielgeräte wählt. Den von Verfassungs wegen geforderten Bezug zum Vergnügungsaufwand der Spieler weisen beide Kenngrößen auf.“

© StGB NRW 2009

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