Heft Januar-Februar 2021

Kommunaler Finanzausgleich in Rheinland-Pfalz

Der Verfassungsgerichtshof (VerfGH) Rheinland-Pfalz in Koblenz hat in drei konkreten Normenkontrollverfahren den rheinland-pfälzischen kommunalen Finanzausgleich für unvereinbar mit der Landesverfassung erklärt. Der Landesgesetzgeber hat bis spätestens zum 1. Januar 2023 eine Neuregelung zu schaffen, die den aufgabenbezogenen Finanzbedarf der Kommunen zur Grundlage des Finanzausgleichssystems macht.

VerfGH Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.12.2020
- Az.: VGH N 12/19, VGH N 13/19 und VGH N 14/19 -

Die Gemeinden und Gemeindeverbände in Rheinland-Pfalz erhalten vom Land im Wege des kommunalen Finanzausgleichs Zuweisungen nach den Vorschriften des Landesfinanzausgleichsgesetzes (LFAG). Diese Zuweisungen werden im Wesentlichen aus der sogenannten Verbundmasse gespeist, in die ein vom Gesetzgeber festgelegter prozentualer Anteil des dem Land zustehenden Aufkommens an bestimmten Steuern fließt. Die aus der Verbundmasse resultierende Finanzausgleichsmasse wird auf allgemeine und zweckgebundene Finanzzuweisungen aufgeteilt, deren Beträge im Landeshaushaltsplan festgesetzt werden.

Die Verfassungsmäßigkeit des kommunalen Finanzausgleichs sowie einzelner Teilkomponenten war wiederholt Gegenstand von Entscheidungen des VerfGH. So erklärte der VerfGH mit Urteil vom 14. Februar 2012 (Az. VGH N 3/11) Teile des für die Jahre 2007 bis 2013 geltenden LFAG für verfassungswidrig. Zugleich wurde der Gesetzgeber verpflichtet, bis zum 1. Januar 2014 eine verfassungsgemäße Regelung zu treffen und hierbei einen „spürbaren Beitrag“ zur Bewältigung der kommunalen Finanzkrise zu leisten.

Mit dem Landesgesetz zur Reform des kommunalen Finanzausgleichs vom 08.10.2013 hat der Gesetzgeber eine Neuregelung von Teilen des kommunalen Finanzausgleichs vorgenommen. Gegen die auf der Grundlage des reformierten LFAG bewilligten Finanzzuweisungen für die Jahre 2014 bzw. 2015 wandten sich die Kläger der fachgerichtlichen Verfahren, die Stadt Pirmasens und der Landkreis Kaiserslautern. Das VG Neustadt an der Weinstraße hat die Verfahren im Jahr 2019 ausgesetzt und den VerfGH im Wege der konkreten Normenkontrolle um Prüfung gebeten, ob die Bestimmungen des LFAG in der für die Jahre 2014/2015 maßgeblichen Fassung mit der Landesverfassung vereinbar sind.

Dieser erklärte die Vorschriften über die Finanzausgleichsmasse und die Finanzzuweisungen (§§ 5 bis 18 LFAG) ab dem Jahr 2014 für unvereinbar mit der Landesverfassung. Zur Sicherstellung einer geordneten Finanz- und Haushaltswirtschaft bleiben sie zwar vorübergehend weiterhin anwendbar - allerdings muss der Gesetzgeber bis spätestens zum 01.01.2023 eine verfassungsgemäße Neuregelung des kommunalen Finanzausgleichs treffen.

Art. 49 der Landesverfassung (LV) - so der VerfGH zur Begründung - gewährleiste den Gemeinden und Gemeindeverbänden eine Finanzausstattung, die ihnen die Erfüllung aller zugewiesenen und im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung auch die Wahrnehmung (jedenfalls eines Mindestbestandes) selbstgewählter Aufgaben ermögliche. Zentrales Element des Art. 49 Abs. 6 LV sei damit der vom Verfassungsgerichtshof bereits in seinem Urteil aus dem Jahr 2012 angesprochene Aufgabenbezug des kommunalen Finanzausgleichs. Das sich aus Art. 49 Abs. 6 LV ergebende Gebot einer aufgabenadäquaten kommunalen Finanzausstattung garantiere indes keine Vollfinanzierung kommunaler Aufgaben im Sinne einer kompletten Kostenerstattung durch das Land. Aus der Pflicht zur Sicherung der „erforderlichen Mittel“ nach Art. 49 Abs. 6 Satz 1 LV folge vielmehr, dass Aufwendungen der Kommunen, die das Gebot wirtschaftlicher und sparsamer Haushaltsführung nicht beachteten, unberücksichtigt bleiben dürften. Zudem habe das Land zu prüfen, ob die Gemeinden und Gemeindeverbände ihre Einnahmepotentiale umfassend ausgeschöpft hätten.

Wegen der prinzipiellen Gleichwertigkeit staatlicher und kommunaler Aufgaben dürften bei der Bemessung der kommunalen Finanzausstattung die Belange des Landes nicht außer Acht gelassen werden. Allerdings seien dem Vorbehalt der Leistungsfähigkeit des Landes enge Grenzen gesetzt. Namentlich komme eine Unterschreitung der aufgabenadäquaten kommunalen Finanzausstattung nur in extremen finanziellen Notlagen des Landes im Sinne von außergewöhnlichen Notsituationen (Art. 117 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2a LV) in Betracht.

Bei der Ausgestaltung des vertikalen Finanzausgleichs stehe dem Gesetzgeber ein Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum zu. Dieser finde seine Grenze allerdings in Art. 49 Abs. 6 Satz 1 LV, wonach die Aufgaben der Kommunen den verfassungsrechtlichen Maßstab zur Bestimmung der angemessenen Finanzausstattung bildeten. Auf die danach geforderte aufgabenbezogene Bedarfsermittlung könne das Land auch nicht unter Verweis auf die Komplexität und den Aufwand entsprechender Analyseverfahren verzichten, zumal der Gesetzgeber schätzen und pauschalieren dürfe.

Das Gebot eines aufgabengerechten Finanzausgleichs werde durch verfahrensrechtliche (prozedurale) Vorgaben abgesichert, die sich der Struktur der gesetzgeberischen Entscheidung über den Finanzausgleich und dem Schutzzweck des Art. 49 Abs. 6 Satz 1 LV entnehmen ließen. Der Gesetzgeber habe eine realitätsnahe Ermittlung der Kosten sowohl der Pflichtaufgaben der Selbstverwaltung als auch der den Kommunen übertragenen staatlichen Aufgaben vorzunehmen und ihre Einnahmequellen zu betrachten. Die wesentlichen Ergebnisse seiner (Bedarfs-)Ermittlungen und seine hierauf fußenden Erwägungen habe der Gesetzgeber durch Aufnahme in die Gesetzesmaterialien transparent zu machen. Auf diese Weise werde auch eine (verfassungsgerichtliche) Kontrolle ermöglicht, ob er sich im Rahmen seines Ermessens- und Beurteilungsspielraums bewege. Zudem habe der Gesetzgeber die Stimmigkeit des kommunalen Finanzierungssystems in angemessenen Abständen zu überprüfen.

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben stelle sich der im Jahr 2014 reformierte kommunale Finanzausgleich in Rheinland-Pfalz als verfassungswidrig dar. Der von Art. 49 Abs. 6 LV geforderte Aufgabenbezug fehle bei dem gegenwärtigen Finanzausgleichssystem, das die anhand eines Verbundquotenmodells ermittelte Finanzausgleichsmasse lediglich unter Berücksichtigung der Einnahmeentwicklung des Landes fortschreibe. Die konkret zur Überprüfung gestellten Vorschriften sicherten den Gemeinden und Gemeindeverbänden daher nicht „die zur Erfüllung ihrer eigenen und der übertragenen Aufgaben erforderlichen Mittel“ im Sinne des Art. 49 Abs. 6 Satz 1 LV.

Im Rahmen der Neuregelung komme dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zu, der verfassungsrechtlich durch die Finanzausstattungsgarantie des Art. 49 Abs. 6 LV eingehegt werde. Während die kommunale Finanzausstattung als solche aufgaben- und bedarfsorientiert ausgestaltet sein müsse, enthalte die Verfassung hinsichtlich des konkreten Berechnungsmodells keine näheren Vorgaben. Gerade bei der Ermittlung und Bewertung der erforderlichen Daten sei der Gesetzgeber aber nicht auf sich allein gestellt, sondern könne etwa den Landesrechnungshof in das Verfahren einbinden. In diesem Zusammenhang enthält das Urteil auch einige nicht unmittelbar verbindliche Hinweise und Bausteine für eine zu treffende Neuregelung.

Schließlich sei das Land an die bereits im Jahr 2012 angemahnte Entlastung der stark verschuldeten Kommunen zu erinnern: Die Wirkungen des von Art. 49 Abs. 6 LV geforderten aufgabenadäquaten Finanzausgleichs könnten sich flächendeckend nur entfalten, wenn die mit Kassenkrediten belasteten Kommunen in die Lage versetzt würden, diese abzubauen und so dauerhaft zu einem materiellen Haushaltsausgleich zu finden. Ohne die Bereitstellung zusätzlicher Finanzmittel zu diesem Zweck erscheine dies nach wie vor ausgeschlossen.

 

IHK-Beitragsbescheide an Gemeinde

In Baden-Württemberg sind zwei Gemeinden in 1. und 2. Instanz erfolgreich gegen Beitragsbescheide der Industrie- und Handelskammer vorgegangen. Die Entscheidungen sind rechtskräftig.

VGH Mannheim, Urteile vom 29.07.2020, - Az.: 6 S 1056/19 bzw. 6 S 1043/19;
VG Stuttgart, Urteile vom 14.03.2019, - Az. 4 K 9692/18 bzw. 4 K 9835/18 -

Zunächst hatte das VG Stuttgart den Klagen zweier baden-württembergischer Gemeinden stattgegeben und Beitragsbescheide der örtlichen Industrie- und Handelskammer aufgehoben, die an die jeweilige Kommune mit Blick auf einen gewerbesteuerpflichtigen Betrieb gewerblicher Art im Kernhaushalt (Photovoltaik-Anlage) gerichtet waren. Das Verwaltungsgericht hatte wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache die Berufung zugelassen.

Die daraufhin eingelegte Berufung der Industrie- und Handelskammer hat der VGH Mannheim ebenfalls zurückgewiesen. Die Urteile sind mittlerweile rechtskräftig, da die Industrie- und Handelskammer eine vom VGH Mannheim zugelassene Revision an das Bundesverwaltungsgericht nicht eingelegt hat.

Wie auch das Verwaltungsgericht Stuttgart war auch der VGH Mannheim der Argumentation der klagenden Kommunen gefolgt, unter die Ausnahmeregelung des § 2 Abs. 5 Satz 1 IHKG (die Pflicht-Kammerzugehörigkeit und damit auch Kammerbeitragspflicht gilt nicht für Gemeinden und Gemeindeverbände, die Eigenbetriebe unterhalten) fielen auch Gemeinden mit gewerbesteuerpflichtigen Regiebetrieben im Kernhaushalt.

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