Heft Januar-Februar 2009

„Sperrklausel“ im Kommunalwahlgesetz NRW

Die Regelung in § 33 Abs. 3 Satz 1 KWahlG, wonach Parteien oder Wählergruppen, die nicht mindestens eine Zahl von 1,0 für einen einzigen Sitz erreichen, bei der Sitzzuteilung unberücksichtigt bleiben, ist als „Sperrklausel“ verfassungswidrig (nichtamtlicher Leitsatz). VerfGH NRW, Urteil vom 16. Dezember 2008
- Az.: VerfGH 12/08 -
In dem Organstreitverfahren gegen den Landtag NRW hatte sich die ÖDP gegen eine ihr nachteilige Neuregelung im nordrhein-westfälischen Kommunalwahlgesetz (KWahlG) gewandt. Mit dem Gesetz zur Änderung des KWahlG vom 9. Oktober 2007 war das Verfahren zur Berechnung der Sitzzuteilung beim Verhältnisausgleich von dem Proportionalverfahren nach Hare/Niemeyer auf das Divisorverfahren mit Standardrundung nach Sainte-LaguÑ‘/Schepers umgestellt worden. Nach diesem Verfahren werden die nach Zahlenbruchteilen zu vergebenden Sitze bei Resten unter 0,5 auf die darunter liegende ganze Zahl abgerundet und bei Resten ab 0,5 auf die darüber liegende ganze Zahl aufgerundet. Abweichend davon bestimmt § 33 Abs. 3 Satz 1 KWahlG, dass Parteien oder Wählergruppen, die nicht mindestens eine Zahl von 1,0 für einen einzigen Sitz erreichen, bei der Sitzzuteilung unberücksichtigt bleiben. In der Urteilsbegründung führt der Verfassungsgerichtshof u.a. aus: Der Landtag NRW habe das Recht der ÖDP auf chancengleiche Teilnahme an den Kommunalwahlen und auf Gleichheit der Wahl dadurch verletzt, dass er in § 33 Abs. 3 Satz 1 KWahlG Parteien oder Wählergruppen bei der Sitzzuteilung unberücksichtigt lasse, die nicht mindestens eine Zahl von 1,0 für einen einzigen Sitz erreichten. Diese Regelung bewirke eine Ungleichgewichtung der Wählerstimmen, die über die mit dem Sitzzuteilungsverfahren nach Sainte-LaguÑ‘/Schepers verbundene systemimmanente Differenzierung im Erfolgswert der Stimmen hinausgehe. Dem genannten Zuteilungsverfahren entspreche es, auch im Falle eines einzigen Sitzes Zahlenreste ab 0,5 und kleiner als 1,0 für die Sitzzuteilung zu berücksichtigen. Von dieser Rundungssystematik weiche § 33 Abs. 3 Satz 1 KWahlG ab. Diese Modifizierung sei verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Das Recht der Parteien auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb sei ebenso wie der Grundsatz der gleichen Wahl im Sinne einer strengen und formalen Gleichheit zu verstehen. Dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers seien hier besonders enge Grenzen gezogen. Differenzierungen in diesem Bereich bedürften zu ihrer Rechtfertigung stets eines besonderen - sachlich legitimierten - „zwingenden“ Grundes. Daran fehle es hier. Der Landtag habe weder im Gesetzgebungsverfahren noch im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof dargelegt, dass die Regelung in § 33 Abs. 3 Satz 1 KWahlG aus „zwingenden“ Gründen erforderlich sei. Dies gelte auch für den vom Landtag angeführten Gesichtspunkt einer drohenden Funktionsunfähigkeit der Kommunalvertretungsorgane. Der Landtag habe nicht hinreichend deutlich gemacht, dass die „Sperrklausel“ in § 33 Abs. 3 Satz 1 KWahlG zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Kommunalvertretungen notwendig sei.

Hundesteuer und Existenzminimum

Eine Steuer ist dann unverhältnismäßig, wenn sie aus demjenigen zu bezahlen ist, was der Staat dem Einzelnen zur Sicherung eines menschenwürdigen Daseins als Existenzminimum zur Verfügung stellt. Da die Hundesteuer bei der Bestimmung des Existenzminimums nicht berücksichtigt werde, ist deren Erhebung bei denjenigen, die ihren Lebensunterhalt aus dem zur Führung eines menschenwürdigen Daseins staatlich garantierten Existenzminimum bestreiten müssen, unverhältnismäßig (nichtamtliche Leitsätze). VG Gelsenkirchen, Urteil vom 16. Oktober 2008
- Az.: 2 K 3211/08 - (nicht rechtskräftig)
Gemäß der örtlichen Hundesteuersatzung ist für Hunde, die von Personen gehalten werden, die Grundsicherungsleistungen für Arbeitssuchende (ALG II ohne Zuschlag nach § 24 SGB II) oder Sozialgeld nach dem SGB II, Hilfe zum Lebensunterhalt oder Grundsicherungsleistungen nach dem 3. bzw. 4. Kapitel des SGB XII erhalten, und von solchen Personen, die diesen einkommensmäßig gleichstehen, die Steuer auf Antrag auf die Hälfte des Steuersatzes zu ermäßigen, allerdings nur für einen Hund. Für gefährliche Hunde wird eine solche Steuerermäßigung nicht gewährt. Diese Ermäßigungsmöglichkeit führt nach Auffassung des VG Gelsenkirchen nicht zu einer Verfassungsmäßigkeit der Hundesteuerpflicht des beschriebenen Personenkreises. Gemäß der Hundesteuer-Mustersatzung des StGB NRW wird fakultativ folgende Regelung vorgeschlagen: „Für Personen, die Hilfe zum Lebensunterhalt (§§ 27 bis 40 SGB XII), Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (§§ 41 bis 46 SGB XII) oder Arbeitslosengeld II (§§ 19 bis 27 SGB II) erhalten, sowie für diesen einkommensmäßig gleichstehende Personen wird die Steuer auf Antrag um ... gesenkt.“ Unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des VG Gelsenkirchen wäre diese Vorschrift nur rechtmäßig, wenn die Steuer auf Antrag um 100 Prozent gesenkt würde. Das VG Gelsenkirchen hat die Berufung zugelassen. Nach uns vorliegenden Informationen wird die beklagte Stadt auch Berufung einlegen. Unseres Erachtens hat eine solche Berufung durchaus gute Aussicht auf Erfolg. Das VG Gelsenkirchen verkennt u. E. in dem Urteil den Charakter der Hundesteuer als örtliche Aufwandsteuer. In einem aktuellen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17.09.2008 zur Erhebung von Zweitwohnungssteuer für Studierende (Az.: Az.: 9 C 13.07, 9 C 14.07,9 C 15.07, 9 C 17.07) führt das Gericht aus, dass es im Rahmen der im Steuerrecht zulässigen Typisierung nicht darauf ankomme, ob im Einzelfall Leistungsfähigkeit gegeben sei. Außerdem hätte die Rechtsprechung des VG Gelsenkirchen zur Konsequenz, dass bei bestimmten Personenkreisen eine Lenkungswirkung der Aufwandsteuern nicht mehr zum Tragen kommen könnte.

Neuregelung der „Pendlerpauschale“

Die Neuregelung des § 9 Abs. 2 EStG, wonach die Aufwendungen für die Wege zur regelmäßigen Arbeitsstätte keine Werbungskosten sind, dass aber „zur Abgeltung erhöhter Aufwendungen“ für Fahrten ab dem 21. Entfernungskilometer eine Pauschale von 0,30 Euro „wie Werbungskosten“ anzusetzen ist, ist mangels verfassungsrechtlich tragfähiger Begründung mit den Anforderungen des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG an eine folgerichtige Ausgestaltung einkommensteuerrechtlicher Belastungsentscheidungen nicht vereinbar und verfassungswidrig (nichtamtlicher Leitsatz). BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008
- Az.: 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08 -
Auf die Vorlagen der Finanzgerichte Niedersachsens und des Saarlandes sowie des Bundesfinanzhofs entschied der Zweite Senat des BVerfG, dass diese Neuregelungen verfassungswidrig sind. Der Gesetzgeber ist danach verpflichtet, rückwirkend auf den 1. Januar 2007 die Verfassungswidrigkeit durch Umgestaltung der Rechtslage zu beseitigen. Bis zur gesetzlichen Neuregelung ist die Pauschale des § 9 Abs. 2 Satz 2 EStG - vorläufig - ohne die Beschränkung auf Entfernungen erst ab dem 21. Kilometer anzuwenden. Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde: Der allgemeine Gleichheitssatz des Grundgesetzes verlangt vom Gesetzgeber eine an der finanziellen Leistungsfähigkeit ausgerichtete hinreichend folgerichtige Ausgestaltung seiner Belastungsentscheidungen. Nach dem geltenden Einkommensteuerrecht wird die finanzielle Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen grundsätzlich nach der Höhe seines jährlichen Nettoeinkommens bemessen, d.h., nach der Höhe der Einnahmen abzüglich beruflich bzw. betrieblich veranlasster Aufwendungen (sog. objektives Nettoprinzip) sowie abzüglich weiterer, nicht beruflich, sondern privat veranlasster Aufwendungen. Entscheidend für die steuermindernde Abzugsfähigkeit von Aufwendungen ist danach grundsätzlich deren jeweiliger Veranlassungszusammenhang. Das im Gesetzgebungsverfahren fast ausschließlich angeführte Ziel der Haushaltskonsolidierung kann trotz aller auch verfassungsrechtlichen Dringlichkeit für sich genommen die Neuregelung nicht rechtfertigen, denn es geht bei der Abgrenzung der steuerlichen Bemessungsgrundlage um die gerechte Verteilung von Steuerlasten. Hierfür kann die staatliche Einnahmenvermehrung jedoch kein Richtmaß bieten, denn diesem Ziel dient jede, auch eine willkürliche Mehrbelastung. Schließlich fehlt es auch an einem den Gesetzgeber „befreienden“ grundlegenden Systemwechsel oder einer neuen Zuordnungsentscheidung. Die dem Steuergesetzgeber zustehende Gestaltungsfreiheit umfasst zwar von Verfassungs wegen auch die Befugnis, neue Regeln ohne Bindung durch Grundsätze der Folgerichtigkeit an frühere Grundentscheidungen einzuführen. Einen zulässigen Systemwechsel kann es jedoch ohne ein Mindestmaß an neuer Systemorientierung nicht geben. Anderenfalls ließe sich jedwede Ausnahmeregelung als (Anfang einer) Neukonzeption deklarieren. Die neuen Bestimmungen zur räumlichen Abgrenzung abzugsfähiger Wegekosten lassen eine Orientierung an einer - etwa nach und nach zu verwirklichenden - neuen Grundkonzeption nicht erkennen. © StGB NRW 2009

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